Donnerstag, 16. Oktober 2014

Der Hauptmann von Köpenick

Friedrich Wilhelm Voigt (* 13. Februar 1849 in Tilsit ;
† 3. Januar 1922 in Luxemburg
) war ein straffällig gewordener Schuhmacher. 

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Am 16. Oktober 1906 drang Voigt als Hauptmann verkleidet mit einem Trupp gutgläubiger Soldaten in das Rathaus der Stadt Köpenick   bei Berlin ein, verhaftete den Bürgermeister und beschlagnahmte die Stadtkasse.

 

Voigt wurde als Sohn eines Schuhmachermeisters in Tilsit geboren. Er besuchte dort die Volksschule und die unteren Klassen einer Realschule. Anschließend ging er bei seinem Vater 3 Jahre in die Lehre. Von seinem 14. Lebensjahr an wurde er wiederholt wegen Diebstahls bestraft, schließlich auch strafverschärfend als Rückfalltäter. Im April 1867 wurde er wegen einer Reihe von Urkundenfälschungen zu einer zehnjährigen Zuchthaus-Strafe und einer Geldstrafe von 1.500 Talern verurteilt. An Stelle der Geldstrafe - die er nicht bezahlen konnte - saß er stattdessen weitere zwei Jahre zusätzlich ab. 1879 kam er wieder frei. Die folgenden 10 Jahre arbeitete er, teils als Schuhmacher, teils in anderen Tätigkeiten im In- und Ausland.

1889/90 wurde er wegen Diebstahls und "intellektueller Urkundenfälschung" zu einer Gefängnisstrafe von insgesamt 13 Monaten verurteilt. Im Februar 1891 wurde er vom Landgericht Gnesen "wegen schweren Diebstahls im Rückfalle zu 15 Jahren Zuchthaus, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf 10 Jahre und Zulässigkeit von Polizeiaufsicht" verurteilt. Am 12. Februar 1906 wurde Voigt aus dem Zuchthaus in Rawitz entlassen. Er hatte bis dahin insgesamt mehr als 29 Jahre hinter Gittern verbracht. Durch Vermittlung des Anstaltsgeistlichen fand Voigt eine Arbeit als Schuhmacher in Wismar. Er führte sich gut, wurde aber dennoch im Mai 1906 aus dem Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin ausgewiesen.

Vergeblich versuchte Voigt, in Graudenz und Potsdam dauerhafte Arbeit zu finden. Schließlich landete er bei seiner in Rixdorf bei Berlin lebenden Schwester und fand Arbeit in einer Schuhwarenfabrik. Am 24. August 1906 wurde Voigt erneut als eine für die öffentliche Sicherheit und Moralität gefährliche Person vom Berliner Polizeipräsidenten ausgewiesen. Er verließ Rixdorf offiziell am 1. September 1906 in Richtung Hamburg, tatsächlich wohnte er jedoch als nicht gemeldeter Schlafbursche in Berlin.

 

Seinen am 16. Oktober 1906 folgenden Coup plante Voigt sorgfältig. Er informierte sich über Details der Ablösung von Wachmannschaften, die in ruhigen Gegenden von Berlin und nur unter Führung von Gefreiten stattfanden. Als mögliche Tatorte wählte er Rathäuser von bei Berlin gelegenen Kleinstädten aus. Nachdem er anfangs auch Oranienburg und Bernau in Erwägung gezogen hatte entschied er sich schließlich für Köpenick. Des weiteren kaufte er sich bei verschiedenen Trödlern in Potsdam und Berlin die Uniform eines preußischen Hauptmanns vom 1. Garderegiment zusammen.

Am Abend des 15. Oktober legte Voigt seine Uniform in der Jungfernheide an. Am 16. Oktober fuhr Voigt mit dem ersten Frühzug nach Stralau-Rummelsburg und von dort mit dem Vorortzug nach Köpenick. Hier sondierte er das Terrain, insbesondere prägte er sich die Gegend um das Rathaus ein. Danach fuhr Voigt zum Bahnhof Putlitzstraße zurück und verbrachte den restlichen Vormittag in einer Gastwirtschaft in Plötzensee.

Gegen Mittag, zur Zeit der Wachablösungen, wartete Voigt in der Sylter Straße auf die abgelöste Wache vom Schießstand. Es kam jedoch zunächst ein Trupp Gardefüsiliere vorbei, der aus drei Mann und einem Gefreiten bestand. Voigt hielt den Trupp an und erfuhr durch seine Nachfrage, dass die vom Schießstand abgelöste Wache im Anmarsch wäre. Er befahl dem Gefreiten, diesen aus fünf Mann und einem Gefreiten bestehenden Trupp vom Garderegiment zu Fuß heranzuholen. Unter Berufung auf allerhöchste Kabinettsorder unterstellte Voigt die vereinigten Wachen seinem Befehl und machte einen Gefreiten zum Abteilungsführer.

Mit der ihm nun zur Verfügung stehenden Streitmacht marschierte Voigt zum Bahnhof Putlitzstraße und fuhr von dort nach Köpenick, wo er die Soldaten zu Mittag essen ließ. Danach ließ Voigt antreten, befahl das Seitengewehr aufzupflanzen und marschierte zum Rathaus Köpenick. Dort angekommen ließ Voigt vor den Portalen und Nebeneingängen Posten aufstellen und die Tore schließen. In den Fluren postierte er Soldaten, die jeglichen Kontakt der im Rathaus befindlichen Personen untereinander verhindern sollten. Die örtliche Gendarmerie wurde von Voigt angewiesen, während der Aktion für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Im Vorzimmer des Bürgermeisters im ersten Stock ließ Voigt den Oberstadtsekretär arretieren, danach verhaftete er den Bürgermeister. Dem Rendanten teilte Voigt mit, dass er die Verwaltung der Stadt übernommen habe und ließ ihn einen Kassenabschluss machen, welcher einen Kassenbestand von 4002,37 Mark ergab. Das Bargeld ließ sich Voigt gegen Quittung aushändigen, auf der Quittung unterschriebt er mit einem falschen Namen sowie dem Zusatz "H.i.1.G.R." (Hauptmann im 1. Garderegiment). Danach ließ Voigt den Bürgermeister in Begleitung von dessen Ehefrau unter Bewachung zur Neuen Wache nach Berlin abtransportieren. Vorher ließ er sich das Ehrenwort geben, unterwegs keinen Fluchtversuch zu machen. In einem zweiten Wagen wurde auch der Rendant - ebenfalls unter Bewachung - zur Neuen Wache nach Berlin transportiert. 

Seiner Truppe gab Voigt den Auftrag, die Wachen nach einer halben Stunde einzuziehen, per Bahn nach Berlin abzurücken und sich in der Neuen Wache zu melden. Er selbst verließ das Rathaus in Richtung Bahnhof Köpenick und fuhr von dort nach Berlin. In der Stadt kaufte er sich neue Kleidung und Stiefel und bezahlte mit dem konfiszierten Geld. Danach fuhr er mit einer Droschke zum Bahnhof Herrmannstraße in Rixdorf. Dort entledigte er sich seines Säbels, anschließend zog er auf dem Tempelhofer Feld die neu gekauften Sachen an. 

Die sofort nach der Einlieferung des Bürgermeisters von Köpenick und seines Rendanten auf der Neuen Wache in Berlin eingeleiteten Maßnahmen zur Ergreifung des Täters blieben zunächst erfolglos. Vom Regierungspräsidenten von Potsdam wurden 2.000 Mark und vom Köpenicker Magistrat weitere 500 Mark als Belohnung für Hinweise ausgesetzt. Daraufhin ging eine Vielzahl von Hinweisen ein, unter anderem auch von den Verkäufern des Konfektions- und des Schuhgeschäfts, in denen Voigt sich neue Sachen gekauft hatte. Der entscheidende Hinweis kam dann von einem ehemaligen Mithäftling Voigts. Dieser sagt aus, dass Voigt ihm einmal erzählt habe, er wolle nach seiner Entlassung etwas mit dem Militär drehen. Die Polizei versuchte, Voigt bei seiner Schwester in Rixdorf festzunehmen, vergebens. Am 26. Oktober, kurz vor 8 Uhr morgens, wurde Voigt verhaftet und am 1. Dezember wegen unbefugten Tragens einer Uniform, Vergehens gegen die öffentliche Ordnung, Freiheitsberaubung, Betruges und schwerer Urkundenfälschung zu einer Gefängnisstrafe von 4 Jahren verurteilt.

Auf Grund eines Gnadenerweises des Kaisers wurde Voigt am 16.August 1908 vorzeitig aus der Haftanstalt Berlin-Tegel entlassen. Die Nachricht von seiner Entlassung wurde von der überraschten Öffentlichkeit als großes Ereignis aufgenommen. Voigt begann sein zweites Leben, indem er versuchte, aus seinen Erlebnissen Kapital zu schlagen. Am 17. August hielt Voigt seine erste Ansprache und ließ diese aufzeichnen. Am 20. August trat Voigt im Passagenpanoptikum Unter den Linden auf. Dort signierte er Fotos und hielt Ansprachen an das Publikum. Noch am selben Tag wurden diese Auftritte sowie jedes weitere Auftreten von Voigt in der Öffentlichkeit verboten.

Voigt plante Operetten- und Varieteauftritte in Wien und Budapest, die jedoch scheiterten. Er tingelte durch die deutschen Jahrmärkte, Hotels und Lokale und signierte dabei Postkarten, die ihn als "Hauptmann von Köpenick" zeigten. Der Versuch, in die USA einzureisen, scheiterte zunächst an den Einwanderungsbehörden. Ende März 1910 gelang es ihm, über Kanada in die USA zu kommen. Dort konnte er mit seinem Auftreten große Erfolge feiern.

 

Weitere Reisen führten ihn nach England, in London wurde er im Wachsfigurenkabinett der Madame Tussaud ausgestellt. Mit seinen Auftritten sowie dem Verkauf seiner Memoiren "Wie ich Hauptmann von Köpenick wurde. Mein Lebensbild. Von Wilhelm Voigt, genannt Hauptmann von Köpenick", die 1909 in einem Leipziger Verlag erschienen, bestritt Voigt seinen Lebensunterhalt. 1910 setzte er sich in Luxemburg zur Ruhe. Voigts Einnahmen wurden spärlicher, finanziell ging es abwärts mit ihm. 1922 starb Voigt völlig verarmt in Luxemburg und wurde auf dem Friedhof Notre Dame bestattet. 

 

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